„Der Tod des eigenen Kindes ist das Schlimmste, was Eltern passieren kann!“

Diesen Ausspruch hört man regelmäßig im Fernsehen oder liest ihn in Print-Medien, wenn das Thema auf verwaiste Eltern fällt. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Es stimmt!

Was tut die Gesellschaft, um diesen Eltern zu helfen?

Vor allem in der ersten Zeit muss man als verwaister Elternteil alle noch verbliebenen Kräfte dafür verwenden, um überhaupt weiterleben zu können (und auch zu wollen) und doch muss man sich mit unaufschiebbaren Erfordernissen konfrontieren – Grabwahl, Beerdigungsorganisation, Behördengänge…

Arbeit? Irrelevant!

Wer möchte sich in dieser absoluten Ausnahmesituation mit der regulären Arbeit auseinandersetzen? In Deutschland gibt es keine verbindliche gesetzliche Regelung, wie Arbeitnehmer und Arbeitgeber in dieser traumatischen Zeit verfahren müssen, d.h. es gibt keine klare Regelung wie viele Tage den Eltern mindestens nach dem Tod des eigenen Kindes als bezahlte Freistellung zustehen. 

Bezahlter Trauer“urlaub“

Ausschlaggebend ist damit der Arbeitsvertrag bzw. der Tarifvertrag, der für das bestehende Arbeitsverhältnis gilt. Im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst sind in Deutschland beispielsweise beim Tod des Partners, eines Elternteils genauso wie beim Tod des eigenen Kindes zwei (!) Tage bezahlte Freistellung vorgesehen. Oft werden diese Tage in der Fachliteratur als „bezahlter Sonderurlaub“ bezeichnet – eine terminologische Unverschämtheit für sich.

Bedenklich ist aber auch, dass in einem Land wie Deutschland die Arbeitnehmer oftmals auf die Kulanz und die Verhandlung mit dem Arbeitgeber angewiesen sind. Man kann nur hoffen, dass die meisten Arbeitgeber mit Feingefühl und Empathie bereits von sich aus ihren Arbeitnehmern Freistellungen anbieten, jedoch sollten verwaiste Eltern weder vom Entgegenkommen dieser abhängig sein noch in einer solchen Ausnahmesituation Verhandlungen über ihren Arbeitsvertrag führen müssen!

Trauer ist keine Krankheit

Natürlich besteht für den Arbeitnehmer noch die Option, sich krank schreiben zu lassen. Mit Sicherheit wird niemand anzweifeln, dass der Tod des eigenen Kindes eine Arbeitsunfähigkeit nach sich ziehen kann. Problematisch wird allerdings die Außenwirkung: Trauer erscheint als Krankheit, als Diagnose auf einem Formular. Der Trauernde wird zum Patienten, der einer Behandlung bedarf. Zum Zeitpunkt unmittelbar nach dem Trauerfall kann davon wohl in den allerwenigsten Fällen ausgegangen werden. Von den Folgen, die eine „krankheitsbedingte Abwesenheit“ auf das Arbeitsverhältnis haben kann, ganz zu schweigen.

Bei unseren europäischen Nachbarn beginnt in diesem Bereich ein Umdenken:

In Frankreich wurde im Januar in Regierungskreisen seitens der Opposition die Diskussion angestoßen, dass das gesetzliche Minimum des gesetzlichen bezahlten Sonder“urlaubs“ für den Fall des Todes des eigenen Kindes von fünf auf zehn Tage erhöht werden sollte. Nachdem die erste Ablehnung dieser Veränderung bestehenden Rechts zu massiver Kritik an der Regierungsmehrheit führte, hat diese nun einen eigenen Gesetzesvorschlag mit einer sogar erweiterten Erhöhung auf zwölf Tage mit verbesserter psychologischer Betreuung der Eltern in Aussicht gestellt.

Initiiert wurde diese Entwicklung wohl durch die Verabschiedung eines Gesetzes in Großbritannien:

Jack’ s Law

In der Pressemitteilung vom 23.01.2020 informiert die Regierung von Großbritannien über ein Gesetz, das nach eigenen Angaben einzigartig in der Welt ist: Seit April 2020 stehen arbeitenden Eltern, die mit dem Verlust eines Kindes (unter 18 Jahren) konfrontiert sind, zwei Wochen bezahlte Auszeit vom Beruf zu. Unabhängig von der Dauer des bestehenden Arbeitsverhältnisses und somit ab dem ersten Tag der Beschäftigung. Die genauen Eckpunkte sind hier zu finden.

Wie kommt es zum Namen dieses Gesetzes?

Man fragt sich unwillkürlich wieso dieses Gesetz einen männlichen Vornamen trägt. Dies hat einen bitteren Hintergrund und ist zugleich auch eine Erfolgsgeschichte. Bereits vor nahezu zehn Jahren ist ein kleiner Junge namens Jack im Alter von 23 Monaten in einem Gartenteich in Großbritannien ertrunken. Seine Mutter war entsetzt über die wenigen Tage, die ihr Mann danach der Arbeit fern bleiben konnte und machte es sich zum Ziel – im Andenken an ihren geliebten Sohn – eine Änderung der Gesetzeslage herbeizuführen. Mit Erfolg!

Ein kurzer Bericht aus dem Jahr 2013, der den Kampf von Lucy Herd beschreibt, kann auf BBC hier angesehen werden.

Der Erfolg ihrer jahrelangen Arbeit freut Jack’s Mutter. Natürlich freut sie auch, dass das neue Gesetz, das trauernde Eltern künftig am Arbeitsmarkt besser schützen soll, den Namen ihres Sohnes trägt. Und doch: Es ist für sie gleichzeitig eine getrübte („bittersweet“) Freude und auch primär nur ein Schritt in die richtige Richtung. Auch zwei Wochen sind bei weitem kein ausreichender Zeitraum.

Änderungen auch bei uns notwendig

Ich muss zugeben, dass auch ich erst vor kurzem von Jack’s Law und den Auswirkungen, die dieses Gesetz schon in Frankreich hatte, erfahren habe. Liegt es an der ausführlichen Berichterstattung über die Corona-Pandemie, die Themen in der Öffentlichkeitswirkung verdrängt, oder daran, dass man sich in unserer Gesellschaft ungern mit Tod und Trauer auseinandersetzt?

Wir, als Franz-Schubert-Stiftung, wollen uns für einen besseren Umgang mit Trauer – auch am Arbeitsplatz – einsetzen. Nachdem Tod und Trauer jeden von uns zu jeder Zeit treffen können, sollten wir uns alle dafür stark machen, dass sich die Bedingungen für Hinterbliebene verbessern.

Natürlich freuen wir uns sehr, wenn Sie uns bei unserem Bestreben unterstützen wollen!

Kennen Sie eigentlich die umfangreiche Linkliste zu unseren Stiftungsthemen „Leben mit schwer bzw. selten erkranktem Kind“ und „Leben mit Trauer als verwaiste Familie“?