Wie mir das Konzept „Trauerkaleidoskop“ geholfen hat

Um zu erklären, wie mir das „Trauerkaleidoskop“ eine große Hilfe bei meiner eigenen Trauer werden konnte, muss ich vorab schildern, in welcher Verfassung ich war, als ich auf dieses Erkärungsmodell zum Ablauf von Trauer gestoßen bin. Danach gehe ich kurz auf die Kernaussagen des „Trauerkaleidoskops“ ein, indem ich Chris Paul, die Enwicklerin des Konzeptes „Trauerkaleidoskop“ selbst zu Wort kommen lasse.

Zeiten von Ohnmacht und Hilflosigkeit

Nach dem Tod unseres Sohnes war ich wie gelähmt. An das erste Jahr der Trauer kann ich mich nur bruchstückhaft erinnern und doch spüre ich noch ganz genau das Gefühl, das mich damals  permanent umtrieb – alles war falsch, ich war falsch, das konnte doch alles nicht wahr sein! 

Ich verzweifelte daran, es nicht wieder „richtig“ machen zu können: Mein Sohn war nicht mehr bei mir. Meine Tochter hatte nicht mehr die Mama, die sie kannte, brauchte und verdiente. Mein Mann konnte sich nicht mehr auf mich verlassen, wie er es gewohnt war. Und ich, ich hatte mich selbst verloren. Meine Rolle als Mama von Franz mit allen schönen und anstrengenden Anteilen, meinen Optimismus, meine Lebensfreude, meine Kraft, mein Durchhaltevermögen und meine Disziplin… weg… Als Mensch, der sein Leben immer auch rational beleuchtet hat, konnte ich dies in gewissem Umfang akzeptieren, da es mir (gefühlt) „logisch“ erschien – schließlich war mir das schlimmste passiert, was ich mir überhaupt vorstellen konnte. Die Tatsache, dass ich aber kaum mehr in der Lage war, mich zu konzentrieren, ständig Dinge verlegte und mich auf mein Gehirn nicht mehr verlassen konnte, beunruhigte mich sehr.

Normale Reaktion auf anormale Situation

Heute, nicht zuletzt durch meine Ausbildung zur Trauerbegleiterin, weiß ich natürlich, dass dies alles überhaupt nicht ungewöhnlich war. Damals allerdings, versuchte ich mir meine Situation selbst zu erklären. Sobald ich mich wieder soweit konzentrieren konnte, dass ich mehr als eine Seite am Stück in einem Buch lesen konnte, recherchierte ich viel zum Thema im Internet und bestellte mir Bücher. 

Autobiografische Erzählungen von Trauernden halfen mir wenig. Die Trauer empfinde ich auch heute noch als höchstpersönliche und individuelle Angelegenheit, die nicht dadurch leichter wird, dass man in Büchern liest, wie es andere „geschafft“ haben, wieder ein lebenswertes Leben zu führen. Die Zeiten der absoluten Dunkelheit und die Abgründe der Trauer werden dabei gerne und oft übersprungen oder ausgeblendet. (Nebenbei: eine gelungene Ausnahme dieser Vorgehensweise findet sich hier, im Buch von Megan Devine.)

Viel mehr konnte ich damals – wie heute – mit Fachliteratur zum Thema Trauer anfangen. Nicht zuletzt, da ich mir durch den Prozess des Lesens wieder meiner zurückkehrenden geistigen Fähigkeiten bewusst werden konnte. In den folgenden Jahren ist damit bei uns zu Hause eine ordentliche kleine Trauer-Fach-Bibliothek entstanden. Einige Bücher, die ich gerne empfehlen möchte, sind hier zu finden.

Das Trauerkaleidoskop ist besonders!

Viele der Bücher, die ich seither zum Thema Trauer gelesen habe, sind empfehlenswert. Besonders berührt hat mich aber das Konzept des Trauerkaleidoskops. Chris Paul versteht es, ein so komplexes und individuelles Konstrukt, wie die Trauer, mittels des Bildes des Kaleidoskops verständlich und nachvollziehbar zu erklären. Wie in einem Kaleidoskop, in dem sich verschiedenfarbige Plättchen beim Drehen immer wieder zu neuen Bildern zusammensetzen, ist es auch im Trauerprozess. Die Plättchen stehen dabei für verschiedene Aspekte oder Aufgaben in der Trauer, die zu jedem Zeitpunkt vorhanden sind, aber durch verschiedene Anordnungen zu verschiedenen Ausprägungen führen können: Überleben, Wirklichkeit, Gefühle, Sich Anpassen, Verbunden Bleiben und Einordnen. 

Die Trauerfacetten, wie Chris Paul die einzelnen farbigen Trauerbereiche nennt, sollen nicht als Phasen, die durchlaufen werden müssen, damit abschließend wieder alles gut ist, verstanden werden. Vielmehr ist der trauernde Mensch eine Einheit, bei der mal die eine und mal die andere Facette gerade mehr Aufmerksamkeit beansprucht und somit in den Vordergrund tritt, während alle anderen im Hintergrund weiter vorhanden sind. Ein Video, in dem Chris Paul selbst dieses Modell sehr schön und knapp zusammenfasst, finden Sie hier auf YouTube.

Mich spricht dieser Blick auf die Trauer sehr an und ich kann ihn sehr gut mit meiner Realität in Einklang bringen. Besonders finde ich aber, dass sich Chris Paul mit ihrer Arbeit nicht nur den Trauernden zuwendet. In einem weiteren Buch (Titel: Wir leben mit deiner Trauer) spricht sie – ebenfalls auf Basis des Trauerkaleidoskops – das soziale Umfeld der Trauernden an, die ihre Lieben unterstützen und begleiten wollen und zeigt dafür Möglichkeiten auf.

Auf ihrer Webseite finden sich viele weitere Infos und wunderbare, unterstützende (kostenlose) Übungen für Trauernde, die – gegliedert nach den Trauerfacetten – mal als Video oder Dokument verfügbar sind. 

Allen Trauernden wünsche ich viel Kraft für die bevorstehenden Tage – Allerheiligen und Allerseelen. Ich hoffe, dass Sie ein gutes und hilfreiches Umfeld haben…

Kennen Sie eigentlich die umfangreiche Linkliste zu unseren Stiftungsthemen „Leben mit schwer bzw. selten erkranktem Kind“ und „Leben mit Trauer als verwaiste Familie“?